Viva Venezia

Viva Venezia

Der Mythos Venedig

Die Ausstellung “Viva Venezia! Die Erfindung Venedigs im 19. Jahrhundert” im neu restaurierten Unteren Belvedere führt uns vor Augen, wie sehr die Geschichtsschreibung und die künstlerische Interpretation im 19. Jahrhundert das Bilder dieser Stadt geschaffen und bis heute geprägt haben. Vermittelt wurde dieses Bild von Intellektuellen, LiteratInnen und KünstlerInnen, die die Stadt von ihrem jeweiligen Standpunkt aus beschrieben oder in Kunstwerken wiedergaben. Zum einen schufen Historiker den Mythos des düsteren, unheimlichen Venedigs, zum anderen wurde von Literaturschaffenden die Vorstellung eines romantischen Venedigs kultiviert.

Jakob Alt, Blick auf San Giorgio Maggiore in Venedig, 1834 Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

Die Entwicklung Venedigs im 19. Jahrhundert lässt sich ohne kurzen Rückblick in die Geschichte nicht erklären. Zu seiner Gründung im 5. Jahrhundert (als Gründungsdatum wird der 25. März 421 genannt) war die damalige Ansiedlung Teil des byzantisnischen reiches. Erst 812, im Freiden von Aachen, wurde Venedig als eigenständige Stadt anerkannt. Danach stieg Venedig zur unumstrittenen Regionalmacht auf. Der weitere Aufstieg zur See- und Handelsmacht war gekennzeichnet durch den Ausbau von kleineren Kolonialbesitzungen zur Schaffung von Stützpunkten im östlichen Mittelmeer (Dalmatien, ionische Inseln, Korfu, Peloponnes, Kreta, Zypern) bis zum Schwarzen Meer und später durch den Ausbau der Handelsbeziehungen bis nach Persien, die arabische Halbinsel, Ostafrika, Indien und China. Bis zum 15. Jahrhundert hatte die Republik Venedig in den internationalen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen eine herausragende Stellung inne. Diese Handelswege verloren ab dem 16. Jahrhundert an Bedeutung. Gründe dafür waren u.a. die Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Indien und die damit erfolgende Verlagerung des Welthandels in den atlantischen Raum und der wirtschaftliche und politische Aufstieg der Kolonialmächte Portugal, Spanien, England und Frankreich und der Niederlande.

Das Ende der Dogenrepublik kam 1797, als während der napoleonischen Kriege aufgrund der drohenden Annexion durch Frankreich sich der Große Rat auflöste und der Doge zurücktrat. Danach wurde die Stadt von den Franzosen besetzt und die napoleonische Volksrepublik Venedig ausgerufen. Bereits 1798 wurde es im Zuge der Kriegshandlungen an Österreich abgetreten; 1805 kam es wieder an Frankreich und wurde dem von Napoleon gegründeten Königreich Italien angeschlossen. Nach dem Wiener Kongress kam Venedig dann als Teil des österreichischen Königreiches Lombardo-Venetien zu Österreich und blieb bis 1866 Teil der Habsburgermonarchie – eine Zeit, die von den Venezianern als Fremdherrschaft erlebt wurde. In der Revolution von 1848 wurde die Republicca di San Marco aufgerufen, die ihre Unabhängigkeit bis zum August 1849 verteidigen konnte. Die Rückeroberung unter Feldmarschall Radetzky erfolgte nach wochenlangem Bombardement Venedigs durch österreichische Artillerie im Sommer 1949.

Giuseppe Canella d. Ä., Chioggia vor Sonnenaufgang, 1838. Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

Diese Zeit war nicht nur durch politische Veränderungen, sondern bis zur Mitte des Jahrhunderts auch mit einem wirtschaftlichen Niedergang verbunden. Ein Beispiel dafür ist, dass die einst bedeutende Seemacht erst 1835, nach zwanzig Jahren, von Österreich wieder das uneingeschränkte Privileg eines Freihafens zuerkannt wurde. Von mindestens ebenso großer Bedeutung für die Stadt war die Eröffnung der Bahnlinie Mailand-Venedig im Jahr 1846 und damit die Errichtung eines Bahnhofes in der Stadt und die mit der Eisenbahnbrücke geschaffene erstmalige Verbindung zum Festland. 1869-1880 erfolgte der Bau des neuen Hafens. Das war allerdings schon zu einer Zeit, als Venedig bereits Teil des Königreiches Italien war.

Das Ende der Fremdherrschaft wurde durch den Frieden von Wien eingeleitet. Nach der Schlacht bei Königgrätz 1866, der Entscheidungsschlacht des Deutschen Krieges, bei dem die preußische Armee die Armeen Österreichs, Bayerns und Sachsens besiegte, wurde Preußen zur Führungsmacht in Deutschland. Im Frieden von Wien wurde Venetien Frankreich zugesprochen. Nach einer Volksabstimmung, in der die Bürger (die Bürgerinnen hatten kein Stimmrecht) sich für einen Anschluss an das Königreich Italien aussprachen, erfolgte Ende November der Einzug von König Viktor Emanuele II in Venedig.

Franz Leo Ruben, Motiv aus Venedig, 1877 © Belvedere, Wien

Das Bild der Stadt, die sich seit 1800 nur wenig verändert hatte, und das neue Selbstverständnis der Stadt wurden in dieser Zeit wesentlich von der Außenwahrnehmung der Historiker und KünstlerInnen geprägt. Bereits im 18. Jahrhundert hatten die Maler Canaletto, Bernardo Bellotto und Francesco Guardi mit ihren zum Teil vielfach reproduzierten Darstellungen das Bild der Stadt und Ihrer Wahrzeichen bekannt gemacht. Johann Wolfgang von Goethe hat seinen Venedigaufenthalt im Jahr 1786 in seinem Buch “Italienische Reise” literarisch beschrieben.

Ihnen folgten im 19. Jahrhundert viele weitere KünstlerInnen, MalerInnen, LiteratInnen, Musiker. Schon in den Jahren 1816-1819 hat der englische Dichter George Gordon Byron durch von ihm verfasste Werke zur Begründung des Mythos von Venedig als romantischem Sehnsuchtsort beigetragen. Weitere Dichter, die in der ersten Hälfte des 19. Hunderts diese Stadt beschrieben, gehörten E.T.A. Hoffmann, Franz Grillparzer, George Sand, Edgar Allan Poe oder Charles Dickens. Der Schriftsteller und Kunsthistoriker John Ruskin hat ab 1845 mit seinem dreibändigen Werk “The Stones of Venice” die mittelalterliche Bausubstanz dokumentiert, deren Verwahrlosung beschrieben und sich jahrelang für die Rettung Venedigs eingesetzt. Am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren es u.a. Gerhart Hauptmann, Henry James, Guy de Maupassant, Rainer Maria Rilke und Thomas Mann, die Venedig in ihren literarischen Werken verewigten.

Ludwig Johann Passini, Kürbisverkäufer in Chioggia, 1876 © Belvedere, Wien

Die Ausstellung “Viva Venezia!” gibt mit über 80 Werken einen Überblick über die bildlichen Darstellungen Venedigs im 19. Jahrhundert und stellt durch Zitate aus Meisterwerken und persönlichen Stellungnahmen von Schriftstellerinnen sehr interessante Verbindungen zur Literatur und zu den Einflüssen der damals geschaffenen Bilder auf das Filmschaffen her.

Die Ausstellung zeigt anhand von mehreren Themenbereichen, wie KünstlerInnen, die im 19. Jahrhundert Venedig besuchten, ihre Eindrücke dieser Stadt in Bildern umsetzten. Es waren dies so unterschiedliche KünstlerInnen wie die österreichischen Biedermeier-Maler Josef Dannhauser, Ferdinand Georg Waldmüller, Jakob Alt und Rudolf von Alt; der Malerfürst Hans Makart, Anton Romako, August von Pettenkofen, Antonietta Brandeis, Leontine von Littrow und William Turner.

Die Historienmalerei hat vor allem die ruhmreiche Geschichte Venedigs zum Inhalt, wie z.B. “Die Übergabe des Leichnams der heiligen Markus in Alexandria an die Venezianer” von Kovacs, “Giovanni Bellini und Albrecht Dürer werden von venezianischen Künstlern gefeiert”, von Jacopo d’Andrea oder Innenansichten des Markusdomes. Ein Gemälde, das aufgrund seiner Größe (10 Meter lang, 4 Meter breit) selten gezeigt wird, ist in dieser Ausstellung zu sehen: “Venedig huldigt Catarina Coronaro” von Hans Markart.

Veduten, das sind Darstellungen eines Stadtbildes oder von Landschaften mit dem Ziel der Wiederkennbarkeit, zeigen verschiedene Ansichten Venedigs und der Lagune; es gibt aber auch Bilder von Venedig als Sehnsuchtsort, die von der literarischen Schilderungen beeinflusst waren.

Während in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das “Volksleben” durch die Darstellung von Fischern, Godolieri, in Tracht gekleideten Frauen, des Karnevals und von Maskenbällen idealisiert erfolgte, wurden Szenen aus dem Alltagsleben der Menschen erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Gegenstand von Bildern.

Mit einigen Werken wird auch daran erinnert, dass es bereits in der zweiten Hälfte der 19. Jahrhunderts eine verstärkte Nachfrage nach fotografischen Erinnerungsbildern gab, die zur Gründung von Fotoateliers führten.

Beachtenswert ist, dass die politischen Umbrüche, die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen kaum Niederschlag gefunden haben. Die Industrialisierung, die Veränderungen in der Mobilität (Eisenbahn, Vaporetti) und soziale Fragen bleiben weitgehend ausgeklammert, vorherrschend ist das idealisierte Bild.

Der Kurator der Ausstellung, Franz Smola, hat dies folgendermaßen zusammengefasst: “Die Stadt Venedig bot zahlreichen Intellektuellen eine Projektionsfläche für ihre Ideen, ihre Sehnsüchte , ihre Gefühle. Mit ihren jeweiligen Bearbeitungen des Themas in teils monumentalen Werken erfanden bildende KünstlerInnen…ein scheinbar ewiges Bild der Stadt: melancholisch, romantisch, einzigartig.”

Damit haben die KünstlerInnen wesentlich dazu beigetragen, die Stadt als “Sehnsuchtsort” zu idealisieren; eine Entwicklung , die sich über das ganze 19. Jahrhundert fortsetzt. Dadurch wurde Venedig bereits mit dem beginnenden Tourismus zu einem erstrebenswerten Reiseziel – und ist es geblieben.

Franz Leo Ruben, Motiv aus Venedig, 1877 © Belvedere, Wien

Die Ausstellung ist bis 4. September 2022 im Unteren Belvedere zu sehen!

Adresse: Unteres Belvedere, Rennweg 6, 1030 Wien https://www.belvedere.at/

Öffnungszeiten: Montag -Sonntag 10:00 – 18:00 Uhr

Katalog: Viva Venezia! Die Erfindung Venedigs im 19. Jahrhundert. Hg. Stella Rollig, Franz Smola. Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König. 2022

Anton Romako, Mädchen an einem Fenster zum Markusplatz, Tauben fütternd, um 1875 Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

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